»Er war einfach schüchtern« (2024)

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Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

SPIEGEL: Frau Kubrick, hätte es Ihrem Mann gefallen, dass Sie mit Journalisten reden?

Kubrick: Nein, Stanley mochte keine Interviews. Er empfand sich selbst als ungeheuer langweilig.

SPIEGEL: Mit dieser Einschätzung stand er ziemlich allein da.

Kubrick: Langweilig im Vergleich zu seinen Filmen wohlgemerkt. Er meinte, was er zu sagen hatte, könnte er nicht besser ausdrücken als durch seine Filme, über die er so lange nachgedacht hatte. Als er 1997 eine Dankesrede halten sollte zur Verleihung des Griffith Awards, hat er sich selbst hier im Haus gefilmt. Er hatte Lampenfieber, es war eine Katastrophe - und wir haben ihn auch noch ausgelacht. Als er sich das Video später ansah, ist er selbst fast erstickt vor Lachen. Er war ein sehr humorvoller Mensch. Aber wenn er eloquent über seine Filme sprechen sollte, fiel ihm nichts ein.

SPIEGEL: Kam zu der notorischen Angst von Künstlern, ihre Werke durch das Gerede darüber zu banalisieren, im Fall Stanley Kubrick nicht noch eine eigentümliche Angst vor der Öffentlichkeit dazu?

Kubrick: Er war einfach schüchtern. Es fing damit an, dass er nicht gern ausging. Er empfand das als Unterbrechung seiner Arbeit. Er gab aber gern Gesellschaften zu Hause. Er hat alles am liebsten hier zu Hause in Childwickbury gemacht.

SPIEGEL: Fürchtete Ihr Mann - als Kontrollfreak berüchtigt - Situationen, die er nicht selbst ganz im Griff hatte?

Kubrick: Nein, er hatte einfach Angst, etwas Blödes zu sagen. Er litt. Warum sollte er sich so etwas immer wieder antun?

SPIEGEL: Vielleicht um der Legendenbildung entgegenzuwirken. Ihr Mann galt immer mehr als ein misanthropischer Eremit.

Kubrick: Stanley meinte: »Wenn ich das Maul halte, dann hört das irgendwann auf.«

SPIEGEL: Aber es hörte nicht auf.

Kubrick: Nein, die Erfindungen wurden immer grotesker. Irgendein Magazin hat sogar behauptet, er sei im klinischen Sinn absolut verrückt geworden. Darüber hat er sich wirklich geärgert. Und deshalb fing er schließlich an, darüber nachzudenken: »Wie kann ich der Welt mitteilen, wie reizend ich in Wirklichkeit bin? Dass ich kein solches Arschloch bin, das seinen Garten mit Insektiziden besprüht, auf Touristen schießt, nicht schneller als 30 Meilen mit dem Auto fährt und nur Fetzen trägt?« Das war ein paar Monate vor seinem Tod. Und deshalb rede ich jetzt mit Ihnen.

SPIEGEL: Reden wir über das Jahr 1957. Waren Sie damals eine erfolgreiche, aufstrebende Schauspielerin?

Kubrick: Ich selber meinte das, ja.

SPIEGEL: Und von heute aus betrachtet?

Kubrick: Ich habe in ein paar guten Inszenierungen an den Münchner Kammerspielen mitgewirkt - und in ein paar sehr schlechten Filmen.

SPIEGEL: In Deutschland wurden ja damals eigentlich nur schlechte Filme gedreht.

Kubrick: Und die habe ich alle mitgemacht. Aber ich war noch sehr jung und sehr doof.

SPIEGEL: Kubrick hat Sie damals im Fernsehen gesehen. Was haben Sie gespielt?

Kubrick: Eine Rolle in einer Bearbeitung von Tschechows »Drei Schwestern«, glaube ich. Ich musste mit einer Espressomaschine hantieren.

SPIEGEL: Die kommt aber bei Tschechow nicht vor.

Kubrick: Nein, es war modernisiert - oder was man damals dafür hielt. Stanley suchte eine deutsche Schauspielerin für seinen Film »Wege zum Ruhm«, den er damals in München vorbereitete, mit Kirk Douglas in der Hauptrolle. Wir haben uns im Studio in Geiselgasteig getroffen, und er hat mich engagiert. Noch vor Beginn der Dreharbeiten, es war Faschingszeit, wurde das Kammerspiel-Ensemble für einen bunten Abend ausgeliehen - eine Riesenhalle voller betrunkener kostümierter Leute. Stanley hatte von einem Freund gehört, dass ich dort sei; so hat er mich gefunden. Als die Dreharbeiten anfingen, waren wir längst ein Paar. Weihnachten 1957 sind wir dann nach Kalifornien gezogen.

SPIEGEL: Und die Idee, Ihre Karriere als Schauspielerin mit ihm oder ohne ihn in Amerika fortzusetzen, kam Ihnen nie?

Kubrick: Ich wollte eigentlich schon immer Malerin werden, konnte damit aber kein Geld verdienen. In Amerika habe ich sofort angefangen, Malerei zu studieren. Das ist bis heute mein Beruf geblieben.

SPIEGEL: Stanley Kubricks letzter Film »Eyes Wide Shut« beruht auf Arthur Schnitzlers »Traumnovelle« und wird diese Woche die Filmfestspiele in Venedig eröffnen. Angeblich hat Ihr Mann diese Idee seit Jahrzehnten verfolgt.

Kubrick: 1968, nach der Premiere von »2001: Odyssee im Weltraum«, schwankte Stanley für sein nächstes Projekt zwischen zwei Büchern: Anthony Burgess'' »A Clockwork Orange« und Schnitzlers »Traumnovelle«.

SPIEGEL: Wer hat ihn darauf gebracht?

Kubrick: Er hat sich seine Stoffe immer selber gesucht. Manchmal hat er zum Spaß in einen Haufen Bücher blind hineingegriffen und gesagt: Das ist es!

SPIEGEL: Haben Sie die beiden Bücher damals auch gelesen?

Kubrick: Ja, mir gefiel »A Clockwork Orange« besser. Für Schnitzler war ich noch zu dumm. Ich habe nicht gemerkt, wie gut der ist. Aber Stanley hat''s gemerkt.

SPIEGEL: Trotzdem hat er sich erst einmal für »A Clockwork Orange« entschieden.

Kubrick: Schnitzler ist besser geeignet für jemanden, der schon ein bisschen älter und reifer ist. Schließlich geht es in der »Traumnovelle« um die Ehe, um Treue.

SPIEGEL: Nicole Kidman erzählt, Sie hätten Ihren Mann damals gebeten, die Finger von der »Traumnovelle« zu lassen - weil Sie Angst um Ihre Ehe gehabt hätten.

* Vor dem Kubrick-Anwesen bei St. Albans.

Kubrick: Ganz so war es nicht. Ich habe ihm damals gesagt, ich fände das ein ganz schreckliches Thema. Er wollte wissen warum, und schon ging es los ...

SPIEGEL: Gab es noch mehrere Anläufe, die »Traumnovelle« zu verfilmen?

Kubrick: Ja, aber von Beginn an stand fest, dass die Geschichte nicht wie bei Schnitzler im Wien der Jahrhundertwende spielen soll, sondern im New York von heute. Und Woody Allen sollte die Hauptrolle spielen.

SPIEGEL: Woody Allen für die Rolle, die schließlich Tom Cruise übernommen hat?

Kubrick: Ja, aber Allen sollte nicht komisch sein, sondern ganz ernsthaft einen jüdischen Arzt spielen. Doch dann hat Stanley die Idee fallen lassen. Im Nachhinein war das gut so, denn die Lösung mit Nicole Kidman und Tom Cruise ist ideal. Stanley wollte ein Ehepaar zeigen, bei dem beide Partner in jeder Hinsicht erfolgreich sind und denen eigentlich nichts im Wege steht. Trotzdem fangen sie an, sich zu quälen - aus Seelenschlamperei.

SPIEGEL: Die in »Eyes Wide Shut« von Nicole Kidman gespielte Alice hat nicht überall Erfolg, ihre Kunsthandlung ist Pleite gegangen. Jetzt hängen die unverkäuflichen Bilder in der Wohnung des Paares - Bilder, die in Wirklichkeit Sie gemalt haben. Besonders charmant von Ihrem Mann war das nicht.

Kubrick: Ja, ich war ungeheuer beleidigt (lacht). Ich habe nicht mal ein Honorar bekommen. Auch unsere roten Sofas, auf denen wir jetzt sitzen, standen in der Filmwohnung von Tom und Nicole. Stanley hat gespart, wo er konnte.

SPIEGEL: Was Kubricks Filme teuer gemacht hat, waren aber nicht die Sofas, sondern die extrem langen Drehzeiten. Und dass immer wieder Projekte scheiterten. Wie weit waren zum Beispiel die Pläne für seinen Holocaust-Film gediehen?

Kubrick: Sehr weit. Es gab ein Drehbuch nach dem Bestseller »Lügen in Zeiten des Krieges« von Louis Begley. Der Film sollte in Bratislava und vor allem in Brünn gedreht werden - man brauchte eine Stadt, die so aussah wie Warschau vor dem Krieg. Es war bereits genehmigt, das Stadtzentrum für ein Wochenende zu sperren und überall Nazi-Fahnen aufzuhängen. Aber dann haben Stanley und Warner Brothers das Ganze abgeblasen.

SPIEGEL: Warum das?

Kubrick: Der Erfolg von »Schindlers Liste« hat eine große Rolle gespielt. Es wäre schwierig gewesen, ein oder zwei Jahre später mit dem gleichen Thema herauszukommen. Zumal Stanley so etwas schon einmal erlebt hatte, als Oliver Stones Vietnam-Film »Platoon« 1986 kurz vor Stanleys »Full Metal Jacket« in die Kinos kam. Das hatte natürlich den Erfolg beeinträchtigt.

SPIEGEL: Hat Kubrick auch andere Stoffe aus der Nazi-Zeit erwogen?

Kubrick: Er hatte so viele Projekte. Eine Zeit lang wollte er einen Film über Veit Harlan machen.

SPIEGEL: Wie sind eigentlich Sie, eine geborene Harlan, mit dem Regisseur des Hetz-Films »Jud Süß« verwandt?

Kubrick: Er ist mein Onkel.

SPIEGEL: Haben Sie ihn noch erlebt?

Kubrick: Natürlich. Auch Stanley hatte durch mich Veit damals in München kennen gelernt. Doch Stanley hat sich nicht nur für ihn interessiert. Er hätte gern einen Film gedreht über das absolut normale Leben unter der Schirmherrschaft von Joseph Goebbels. Leider hat sich das ganze Material aber nie zu einem Filmstoff zusammengefügt.

SPIEGEL: Hat ihn die monatelange Postproduktion von »Eyes Wide Shut« sehr erschöpft?

Kubrick: Am 1. März hat er den Film in New York den Warner-Brothers-Chefs sowie Nicole und Tom vorführen lassen, und alle waren sehr begeistert. Insofern hatte Stanley eine ganz besonders glückliche Woche vor seinem Tod.

SPIEGEL: Und Sie hatten sich auch sonst nie Sorgen gemacht über seine Arbeitswut?

Kubrick: Nein, eigentlich nicht. Es hat ihn nur angestrengt, wenn er nicht arbeiten konnte. Dann war er wirklich unglücklich.

INTERVIEW: URS JENNY, MARTIN WOLF

* Vor dem Kubrick-Anwesen bei St. Albans.

»Er war einfach schüchtern« (2024)

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Author: Sen. Ignacio Ratke

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