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Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
SPIEGEL: Mrs. Kubrick, Ihr Mann wird nicht nur als Genie verehrt, sondern auch als legendärer Sonderling, der es fast mit Howard Hughes aufnehmen konnte. Die britische Presse schilderte ihn als Freak, der auf Leute schoss, die nahe seinem Haus picknickten, und der beim gemächlichen Autofahren einen Football-Helm auf dem Kopf trug. War er wirklich so seltsam?
Kubrick: Nein, das ist völliger Unsinn. Die Journalisten haben sich dafür gerächt, dass er ihnen keine Interviews gab. Er mochte das nicht, weil er ihnen misstraute. Er hatte Angst, hinterher als Vollidiot dazustehen. Er hat diese Zurückgezogenheit zu lange betrieben und sich am Ende selbst damit die Nase abgebissen.
SPIEGEL: Konnte er über seinen Ruf lachen?
Kubrick: Wenn er gute Laune hatte, hat er über die Erfindungen der Presse gelacht. Aber an miesen Tagen ärgerte er sich sehr darüber. Besonders machte ihm schließlich dieser Doppelgänger zu schaffen, der sich Anfang der neunziger Jahre als Stanley Kubrick ausgab und kleine Jungs verführte. Es gelang dem Kerl nur, weil niemand wusste, wie Stanley aussieht. Am Ende seines Lebens wollte mein Mann sein Image und all den Quatsch, den man sich erzählte, korrigieren. Er bat seinen Freund, den Autor Michael Herr, ein Buch über
ihn zu schreiben. Leider hat Stanley das nicht mehr erlebt.
SPIEGEL: Für ein präziseres Kubrick-Bild sorgen nun eine Ausstellung, die ab dieser Woche in Berlin gezeigt wird, und ein neuer Prachtband**. Der Autor Herr schreibt in dem Buch unter anderem, die Schulbildung Ihres Mannes sei bescheiden gewesen.
Kubrick: Sie war saumäßig. Die Schule war ihm unerträglich. Ich glaube, das lag daran, dass er überhaupt nicht gern Kind war. Das erschien ihm lästig und unwürdig. Deshalb ist er auch sehr früh von zu Hause weggezogen und hat mit 19 geheiratet und den Erwachsenen gespielt. Als ich ihn kennen lernte, war er 28 - und er hasste es, irgendwo der Jüngste zu sein wie zum Beispiel auf dem Set von »Spartacus«. So hat er schon durch seine Kleidung versucht, sich von Gleichaltrigen abzusetzen und trug stets weiße Hemden, Schlips und Jackett. Peter Ustinov hat mal sehr klug über ihn gesagt: »Stanley ist ein Mensch, der nie jung war und nie alt wirken wird.«
SPIEGEL: Angeblich kaufte sich Ihr Mann nur sehr selten neue Kleider - und dann, wie zur Hochzeit Ihrer ältesten Tochter, nur einen ziemlich billigen Anzug für 85 Pfund aus dem Kaufhaus Marks & Spencer und Pappschuhe dazu.
Kubrick: Er hat gar nicht gemerkt, dass er so angezogen war, dass seine Kleidung verkrumpelte und verdreckte. Aber meine Tochter hat geweint, als er in seinem Kram auf ihre Hochzeit gehen wollte. Deshalb hat er den Anzug gekauft. Das heißt, er hat
Emilio, den Fahrer, hingeschickt zu Marks & Spencer. Als Stanley die Sachen angezogen hatte, kam er sich dämlich vor darin und sagte: »Ich will kein Wort hören!« Ich fand den Anzug sehr schön. Er konnte sich nur nicht richtig darin bewegen.
SPIEGEL: Bei seiner Filmarbeit bewies Ihr Mann große Sammelwut und hat riesige Archive angelegt. Mal heißt es, er habe in 10, mal, in 100 Zimmern hier auf Childwickbury Manor, Ihrem Anwesen nahe London, Texte und Karteien gehortet. Was stimmt?
Kubrick: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Als wir hier einzogen, haben wir vergessen, die Zimmer, Kammern und Verschläge zu zählen. Stanleys Problem war, dass er alles aufbewahrte. Zeit seines Lebens nahm er sich vor, alles aufzuräumen. Er füllte Ställe und Keller mit seinen Dingen. Die Post steckte er in Säcke - mit dem Vorsatz, sie später zu lesen. Dann stellte er seine Sachen auf diese Säcke, und sie wurden zu Möbeln. Mit einem Wort: Das Problem bei uns war nicht die Nadel, sondern die vielen Heuhaufen.
SPIEGEL: Im neuen Buch und in der Ausstellung wird gezeigt, dass er ausgeklügelte Ordnungssysteme ersonnen hat. Halfen die nicht?
Kubrick: Sagen wir es so: Ordnung war seine große Sehnsucht - so wie viele Menschen gern Flügel hätten. In seinen finanziellen und künstlerischen Dingen war er sehr sorgfältig und klar. Aber wenn es um die Frage ging, wo zum Kuckuck sein zweiter Schuh steckt: Der war einfach nicht da!
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich seine Sammelwut und die Gründlichkeit, mit der er sich in ein Filmthema vergrub?
Kubrick: Es war seine Leidenschaft, das Bestmögliche aus einem Stoff herauszuholen. Sein Motto war: »Wenn du nicht in den Stoff verliebt bist, lass es sein. Mittelmäßige Filme gibt es ohnehin viel zu viele.« Der Zustand der Langeweile war ihm unbekannt. Deshalb wurde er sofort zornig, wenn er merkte, dass jemand nicht hundertprozentig bei der Sache war und zum Beispiel aus dem Fenster guckte. »Either you care or you don''t«, sagte er dann.
SPIEGEL: Wurde er dabei laut?
Kubrick: Nein, aber er hatte einen fürchterlichen Blick. Das ging ganz schnell: einmal schnell hochblicken. Er besaß den Laser des Zorns. Viele Leute hatten Angst davor. Aber, und das mochte ich so an ihm, diese Missbilligung war immer nur kurz.
SPIEGEL: Warum hat sich Ihr Mann ausgerechnet für Napoleon so begeistert, dass er für einen nie verwirklichten Film beispielsweise rund 18 000 Abbildungen besorgen ließ und Karteikästen anlegte, die über jeden Tag im Leben des französischen Kaisers Auskunft geben sollten?
Kubrick: Er war fasziniert von Napoleons geschickter Organisation, den klugen Vorbereitungen, der Wahl der Generäle und Offiziere, den Schachzügen des Imperators. Das Leben dieses Mannes spiegelte für ihn die Grundfragen unserer Existenz. Die Tatsache, dass selbst ein Mensch mit solch unfassbaren Erfolgen und dieser riesigen Begabung an seiner Eitelkeit zu- grunde ging: Napoleon scheiterte, weil seine Emotionen für ein paar Augenblicke stärker waren als sein Verstand. Vielleicht ist das der gemeinsame Nenner aller Kubrick-Filme: Sie handeln davon, dass wir als Menschen letztendlich von unseren Gefühlen bestimmt sind, nicht von unserer Bildung, unserem Talent oder unserem Verstand. Wenn es wirklich drauf ankommt, ergreift uns die Emotion - und dann geht alles schief.
SPIEGEL: Was hat ihn wütend gemacht?
Kubrick: Er hatte eine große Aversion gegen Eitelkeit. Es reizte ihn, wenn Leute etwas Pompöses, Dummes sagten.
SPIEGEL: Und dabei arbeitete er im eitelsten Geschäft der Welt. Ist das nicht paradox?
Kubrick: Er hat sich ja von diesem Geschäft, von dieser Welt fern gehalten, so gut es ging. Er mochte keine Partys. Er war schon als Kind keine Gesellschaft gewohnt. Die Eltern luden niemanden ein und gaben keine Partys. Wenn er später selbst doch zu einer gehen musste, dann war er wie ein Kind, das nicht zu einer Kindergeburtstagsfeier gehen will, weil es sich fürchtet. Während er sich ins Auto schieben ließ, sagte er: »Warum tue ich das? Ich hasse es!« Wenn wir dort waren, hat er sich meistens in die Küche geflüchtet. Aber das half nicht wirklich: Oft kamen dann fast alle Leute in die Küche. Und zu seinem Erstaunen hat er sich in der Regel doch gut amüsiert.
SPIEGEL: Auf einem berühmten Bild aus der Drehzeit von »Barry Lyndon« sieht man Ihren Mann grimmig neben Ryan O''Neal sitzen, der nach einer offenbar harten Nacht gerade aus einer Maske Sauerstoff inhaliert. Verabscheute er Schauspielerexzesse?
Kubrick: Er fand es furchtbar. Deshalb zieht er so ein Gesicht auf dem Bild. O''Neal ging''s nicht gut, der hatte einen dicken Kater, und das bei einer Crew von 40, 50 Leuten. Stanley trank selbst keinen Alkohol und mochte es nicht, wenn Schauspieler unvorbereitet waren, wenn sie ihren Text nicht konnten - aber grundsätzlich hat er sie sehr bewundert und sich für die Arbeit mehr Zeit genommen als jeder andere Regisseur. Er hat es genossen, mit professionellen Leuten wie Nicole Kidman, Jack Nicholson oder Tom Cruise zu arbeiten. Und die haben sich auch nie über ihn beklagt.
SPIEGEL: Mit Kirk Douglas hat es während der »Spartacus«-Dreharbeiten aber wohl
schwerst gerappelt. Douglas nannte Ihren Mann »ein talentiertes Stück Scheiße«.
Kubrick: So schlimm war das alles nicht. Das waren Temperamentsausbrüche. In gewisser Weise waren sich die beiden ähnlich. Deswegen haben sie sich dauernd gezankt über irgendwas, und das wurde gleich ganz laut. Aber laut und kurz. Und hinterher wurden Riesengeschichten daraus gemacht.
SPIEGEL: Gab es je eine Versöhnung zwischen den beiden?
Kubrick: Dazu gab es keine Gelegenheit. Die beiden haben sich nicht wiedergesehen. Aber ich habe Kirk Douglas nach Stanleys Tod in einem Berliner Hotel getroffen, und wir haben uns auf sehr charmante Art über alte Zeiten unterhalten - über seine Arbeit an »Wege zum Ruhm«, als wir gemeinsam in München drehten und ich Stanley kennen lernte.
SPIEGEL: Auf einem schönen Foto aus der Drehzeit von »Lolita« scheint Ihr Mann die Lolita-Darstellerin Sue Lyon anzuhimmeln. Waren Sie manchmal eifersüchtig?
Kubrick: Er gab mir keinen Grund dazu. Das hätte mich auch sehr traurig gemacht. Das »Lolita«-Foto stammt übrigens von mir selbst - ich habe die beiden in dieser Pose arrangiert.
SPIEGEL: Woran lag es, dass Sie Ihrem Mann abrieten, als er schon sehr früh Schnitzlers »Traumnovelle« über die sexuellen Phantasien eines Ehepaars verfilmen wollte, was er dann erst in seinem letzten Film »Eyes Wide Shut« getan hat?
Kubrick: Das lag an meiner eigenen Unreife. Ich fand das Thema feucht. Ich bin von einer Hamburger Mutter erzogen. Über so etwas spricht man nicht. Schon gar nicht im Detail. Als ich so etwa Ende der Fünfziger nach Amerika kam, war ich schockiert darüber, wie ungeniert viele Leute von ihren Gesprächen beim Psychiater erzählten. So was kam in Deutschland damals überhaupt nicht in Frage. Ich fand es ungeheuer peinlich.
SPIEGEL: Die Filme Ihres Mannes sind berühmt für ein pessimistisches Menschenbild: Er selbst sagte mal, vermutlich sei ein Paranoid-Schizophrener derjenige Mensch, der den wahren Zustand der Welt am ehesten erkannt habe. Haben Ihnen seine Filme manchmal Angst eingejagt?
Kubrick: Wir hatten eine sehr unterschiedliche Spiritualität. Obwohl er nicht religiös war und »2001« ein agnostischer Aufschrei über den bitterbösen Gott ist, der die Menschen allein gelassen hat, merkte man ihm doch seine jüdische Erziehung an: Er hat zum Beispiel immer vorwurfsvoll zum Himmel geblickt, wenn er sich über etwas geärgert hat. Und er war abergläubisch: Man sollte in seiner Umgebung kein Schwarz tragen, durfte niemals in seinem Zimmer einen Schirm aufspannen. Und trotz seiner Abneigung gegen Religionen stellte er einmal in Notre-Dame eine Kerze auf - für sein Baseball-Team, die Cincinnati Reds. Er grinste und sagte: »Man kann nie wissen!«
SPIEGEL: Stimmt es, dass Ihr Mann eine Abneigung gegen
Ärzte hatte und sogar seine Herzprobleme selbst am besten zu kurieren glaubte?
Kubrick: Er war ein typischer Arztsohn. Er glaubte vieles zu wissen, war aber auch sehr ängstlich und hat sich vor Fachleuten gegruselt. Medizinische Fachgespräche führte er am Telefon - vorzugsweise mit seinem Freund John Calley, dem ehemaligen Chef von Sony Pictures Entertainment. Sie endeten oft damit, dass die beiden sich gegenseitig Pillen schickten: fürchterlich! Er misstraute aber nicht bloß seinem Arzt, sondern allen Ärzten, auch denen seiner Kinder. In Wirklichkeit hatte er ein tödliches Halbwissen.
SPIEGEL: Woran hatte Ihr Mann in seinem Privatleben Spaß?
Kubrick: An seiner Familie. An unseren Tieren. Und am Sport im Fernsehen. Er ließ sich die Spiele der Football-Liga aus den USA schicken - und während des Turniers in Wimbledon war bei uns der Laden komplett lahm gelegt. Nach einem Match von Boris Becker gegen John McEnroe sagte er einmal: »Kein Film wird es je schaffen, mich in derartige Aufregung zu versetzen.«
SPIEGEL: Hat er sich auch für die Ereignisse der Weltpolitik interessiert, die er Mitte der Sechziger in »Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben« so auf die Schippe nahm?
Kubrick: Ja, ich vermisse seine Dauerkommentare während der Abendnachrichten sehr. Er fand Dinge wie den ersten Golfkrieg entsetzlich, aber er war auch fasziniert. Er saß mit einer Landkarte begeistert vor dem Fernseher und schämte sich gleichzeitig dafür. Ein Mann, der jeden Käfer aus der Badewanne rettete und seine Kätzchen mit dem Löffel fütterte, rieb sich vor einer Schlacht die Hände und rief: »Das ist phantastisches Fernsehen!«
SPIEGEL: Was würde er über die heutige amerikanische Politik sagen?
Kubrick: Die Idiotie und Grausamkeit, mit der man die erfundene Existenz von Massenvernichtungswaffen benutzte, um in den Irak einzumarschieren, hätte ihn an die Decke hüpfen lassen und einen seiner Lieblingssätze über das Kino bestätigt: Man kann im Film immer nur untertreiben, übertreiben geht nicht. Den Starrsinn des amerikanischen Puritanismus hat er einmal so definiert: Es sei »die nagende Furcht, dass irgendjemand irgendwo glücklich sein könnte«.
SPIEGEL: Wie hat Ihr Mann reagiert, als er erfuhr, dass Sie die Nichte des Nazi-Propagandafilmers Veit Harlan sind?
Kubrick: Er war neugierig. Wir haben von Anfang an sehr viel über die Nazi-Zeit geredet. Schließlich war meine Familie eine Puppenküche der deutschen Verhältnisse: Die Halbschwester meiner Mutter war jüdisch, mein Onkel war der Regisseur von »Jud Süß«. Wir sprachen darüber, wie eine solche Katastrophe geschehen konnte. Es gibt ja nichts Schlimmeres, was Menschen einander angetan haben - und dass ausgerechnet mein Onkel da als Hofnarr mitgemacht hat, war natürlich furchtbar. Ich mochte Veit Harlan als Kind, er war ein echter Kinderonkel. Als Studentin habe ich mir die ganzen KZ-Dokumentationen, die es gab, hintereinander angeschaut, das konnte man damals im Kino - es war so eine Mutprobe. Hinterher konnte man eine Woche lang nicht mehr schlafen, so grauenhaft war das.
SPIEGEL: Warum hat Ihr Mann seine Pläne, einen Film über die Nazi-Zeit zu machen, nie verwirklicht?
Kubrick: Zum einen wollte er einen Film darüber machen, wie der Alltag im Showbiz ausgesehen hat in einer Familie wie meiner. Es gab lange Gespräche mit Kristina Söderbaum, der Frau meines Onkels - aber letztlich kam dabei zu wenig heraus. Ihm fiel auch keine Geschichte ein. Später wollte er Louis Begleys Roman »Lügen in Zeiten des Krieges« verfilmen, aber da kam ihm Steven Spielbergs »Schindlers Liste« in die Quere.
SPIEGEL: Über »Schindlers Liste« hat Ihr Mann angeblich gesagt, dass er den Film noch zu optimistisch fand.
Kubrick: Der Film hat ihn sehr beeindruckt. Aber es stimmt, dass er selbst nicht von den wenigen Juden erzählen wollte, die man gerettet hat, sondern von den vielen, die bestialisch ermordet wurden. Von denen, die systematisch umgebracht wurden oder buchstäblich von Hand zu Tode gequält. Wenn man solche Schilderungen liest, wird einem schon ganz zittrig. Stanley wollte einen Film machen, der die Wahrheit zeigt. Aber die kann man vielleicht gar nicht zeigen. Weil man sie den Schauspielern nicht antun kann - und den Zuschauern auch nicht.
SPIEGEL: Ihr Mann ist vor fast sechs Jahren gestorben. Wie oft besuchen Sie das Grab?
Kubrick: Nicht jeden Tag, aber oft. Wir haben ihn hier auf unserem Anwesen beerdigt - an einem Platz, an dem er früher gern und oft saß. Er gehörte keiner Kirche an oder irgendeinem Tempel, und vor Friedhöfen gruselte es ihn. Geschmückt wird das Grab von einem großen Stein.
SPIEGEL: Ist es in Großbritannien nicht verboten, einen Menschen im eigenen Garten zu beerdigen?
Kubrick: In der Regel schon. Deshalb sind wir sehr glücklich, dass uns die Behörden das gestattet haben. Der letzte Mensch, für den sie hier in der Gegend eine solche Ausnahme gemacht haben, war George Bernard Shaw.
SPIEGEL: Ihr Mann hat Ihr Landgut mit Requisiten aus seinen Filmen möbliert. Haben Sie manche von den Sachen nach seinem Tod weggeräumt?
Kubrick: Ich habe mein Schlafzimmer neu arrangiert und mir ein neues Bett beschafft. Aber den Rest haben wir noch. In der Küche steht zum Beispiel der große Holztisch aus »Shining«, wo Jack Nicholson immer wieder den Satz tippt: »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.«
SPIEGEL: Und das Mörderbeil aus diesem Horrorfilm nutzen Sie als Küchengerät?
Kubrick: Nein, es hängt in einem unserer ehemaligen Ställe an der Wand - neben den Beilen für die Feuerwehrleute. Ein kleiner Scherz.
SPIEGEL: Mrs. Kubrick, Ihnen liegt offenbar viel daran, dass die Menschen ein wahrheitsgetreueres Bild Ihres Mannes bekommen. Zeigt nicht das Beispiel von Howard Hughes, dem anderen mysteriösen Künstlertypen des 20. Jahrhunderts, dass Legenden von großen, geheimnisvollen Männern das Publikum bis heute faszinieren?
Kubrick: Ich gehe nur gegen die Lügenstorys vor, die meinen Mann als ein absolutes Ungeheuer erscheinen lassen sollten. Im Übrigen sage ich Ihnen: Er, der große Geheimnisvolle, konnte kein einziges Geheimnis behalten. Nicht eine Sekunde. Er hat alles ausgeplaudert - und am Ende immer gebettelt: »Aber bitte sag es niemandem weiter!«
SPIEGEL: Mrs. Kubrick, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Ein rätselhaftes Kinogenie
war der vor sechs Jahren verstorbene Regisseur Stanley Kubrick. Er zählt zu den ganz Großen der Kinogeschichte. Stets bestand der 1928 im New Yorker Stadtteil Bronx geborene Sohn einer jüdischen Einwandererfamilie darauf, dass seine Filme für sich selbst sprechen sollten, und scheute vor Interviews und öffentlichen Auftritten zurück. Kubrick nutzte für Meisterwerke wie »2001: Odyssee im Weltraum«, »Barry Lyndon« und »Full Metal Jacket« große Produktionsbudgets, behielt aber absolute Unabhängigkeit. 1957 heiratete er in dritter Ehe die deutsche Christiane Harlan, eine Nichte des Nazi-Propagandafilmers Veit Harlan. Anfang der sechziger Jahre zog die Familie nach Großbritannien. Es gelang Kubrick, seine Mammutprojekte von dort aus zu produzieren. Nie weiter als eine Autostunde von zu Hause drehen, lautete eine seiner Maximen, und abends im eigenen Bett schlafen. Mit einem monumentalen Bild- und Essayband huldigt nun der Verlag Taschen der Legende Kubrick: Gezeigt und geschildert wird ein besessener Visionär des Kinos; einer, der bei jedem Projekt nie weniger von sich verlangte, als die gesamte Kunstform neu zu erfinden. Seit Kubricks Tod im Jahr 1999 ist seine Witwe Christiane bemüht, das Bild ihres Gatten zu korrigieren - etwa mit einer großen Kubrick-Ausstellung, die ab Donnerstag dieser Woche im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt wird.
Das Gespräch führten die Redakteure Wolfgang Höbel und ThomasHüetlin.* Mit den Schauspielern Tom Cruise, Julienne Davis undKameramann Larry Smith (r.).** Alison Castle (Hg.): »The Stanley Kubrick Archives«. VerlagTaschen, Köln; circa 544 Seiten; 150 Euro. Erscheintvoraussichtlich im März. Die vom Deutschen Filmmuseum Frankfurtunterstützte Ausstellung »Stanley Kubrick« im BerlinerMartin-Gropius-Bau läuft bis 11. April.* Oben: Die Statisten trugen Nummern, damit Regisseur Kubricksie besser dirigieren konnte; unten: mit den Töchtern Anya,Katharina und Vivian.